005 Resilienz und Genetik
Ist seelische Widerstandskraft eigentlich ererbt oder gelernt?
Für uns Resilienz-Trainer ist spannend, wie unterschiedlich wir alle auf Belastung und Stress reagieren und warum das so ist! Die Wissenschaft liefert hierzu spannende Ansätze.
Hast du dich auch schon einmal gefragt, ob die seelische Widerstandskraft eigentlich ererbt oder erlernt ist? In BLOG 002 hast du schon ein bisschen was dazu erfahren. Da stand ein „teils, teils“ als Antwort: sowohl ererbt als auch erlernt.
In unserem Blog erfährst du neben reiner Praxis eingestreut auch immer wieder etwas zum Hintergrund des Themas Resilienz. Wichtige Informationen und Schlüsselbegriffe bereiten wir für dich kompakt auf. So erhältst du einen guten Einblick in bestimmte Schlüsselthemen, und wenn du Appetit bekommst, tiefer in das Thema einzusteigen, lass es uns wissen. Oder nutze einfach die Informationsquellen, die wir am Ende der Blogbeiträge zur Resilienz-Theorie aufführen.
Wie gesagt, wir wollen es für dich übersichtlich gestalten und dich jetzt nicht auf eine lange Reise in die Tiefen der Wissenschaft schicken. Auch wenn die wirklich interessant wäre! Entscheide selbst wie tief du eintauchen möchtest.
Geforscht wird zu dem Thema Resilienz interdisziplinär, Ergebnisse liefern also Forscher aus unterschiedlichen Wissenschaften. Psychologie, Pädagogik, Soziologie und Neurowissenschaften etwa.
Hier schon mal zwei grundsätzlich wichtige Ergebnisse für dich:
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Es sind nicht nur die Gene, die entweder widerstandsfähig machen oder verletzbar, auch die Prägung durch Erziehung und soziale Umwelt in der Kindheit hinterlässt ihre biologischen Spuren.
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Was einmal angelegt ist, auch genetisch (!), erfährt während des weiteren Lebens Veränderungen. Erstaunlich, aber wahr: Das Leben, das man führt, verändert auch die Erbanlagen. Ängste, sportliche Aktivität, selbst Ernährungsgewohnheiten schlagen sich darin nieder und können verändert weitergegeben werden. Das erforscht der relativ junge Zweig der Epigenetik als Teilgebiet der Biologie.
Nicht verzweifeln, ich weiß, jeder genannte Begriff wirft Fragen nach seiner Bedeutung und Erklärung auf. Recherchiere dazu gern gezielt und vertiefend im Netz oder in Büchern weiter. Tipps zur Suche findest du am Ende meines Beitrags.
Sinn und Zweck dieses Blog-Beitrags ist es aber, dir zu zeigen, warum es lohnt, sich mit Stärkung der Resilienz über Training zu beschäftigen. Die beiden oben genannten Punkte reichen dafür ja beinah schon aus. Denn sie deuten bereits an: Veränderung ist möglich!
Was hat die Forschung im Detail herausgefunden?
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Menschen, die früh traumatisiert wurden, etwa über sexuellen Missbrauch, reagieren später im Leben oft überempfindlich auf Belastungen/Stress. Und das umso mehr, je länger sie in kritischen Verhältnissen aufgewachsen sind. Gemessen hat man das in Vergleichsstudien über den Level von Stresshormonen in Testsituationen. Gemeint ist hier vor allem Cortisol und wie schnell es nach Ausschüttung in Belastungssituationen im Körper wieder aus dem Verkehr gezogen wird.
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Es gibt weitere biologische und neurologische Merkmale und Auffälligkeiten, die die Resilienz-Stärke bestimmen, etwa der Zustand des präfrontalen Cortex und des Hippocampus im Gehirn. Getestet über die unterschiedlich ausfallenden Entspannungs-Reaktionen nach einem Knall (präfrontaler Cortex) und über die Größenmessung des Hippocampus im Hirn-Scanner (unterschiedlich groß bei resilienten und depressiven Menschen).
- Auf der Suche nach dem Resilienz-Gen sind die Forscher tatsächlich fündig geworden. Es heißt 5-HTT. Das Gen enthält die Bausteine für den Serotonintransporter. Serotonin ist als Hormon vielfältig wirksam, es vermittelt u.a. Wohlgefühl und psychische Stärke. 5-HTT greift, kurz gesagt, in die Kontrolle des Serotoninspiegels im Hirn ein. Immens wichtig war aber die Entdeckung, dass es zwei Varianten des Serotonintransporters gibt – eine längere und eine kürzere Version. Für die Ausprägung der Resilienz entscheidend ist offenbar die längere Variante. Fazit: Die Forscher sind sich sicher, dass es einen Zusammenhang zwischen der Variante des Serotonintransporters und dem Gemütszustand gibt.
Die DNA allein bestimmt nicht alles!
Es geht also um die sogenannten Gen-Umwelt-Wechselbeziehungen, die psychische Stabilität und Gesundheit oder Anfälligkeit für psychische Erkrankungen beeinflussen. Die genetische Seite ist die Disposition. Kommt ungesunder Stress hinzu, besteht die Gefahr, dass sich etwas zum Negativen wendet. Es ist ein Geflecht aus komplexen Wechselwirkungen.
Die DNA bestimmt also nicht allein über unser Leben, aber unser Leben beeinflusst sehr wohl die Gene! Kurz gesagt: Was du isst, tust und erlebst wirkt auch auf deine DNA und das lebenslang. Aber wie funktioniert das?
Biochemische Prozesse steuern den Prozess. Einer davon ist die Methylierung. Es geht dabei um chemische Markierungen am Erbgut, Anhängsel an der langen DNA-Kette, die darüber bestimmen, wie genetische Informationen vom Körper ausgewertet werden und zu Handlungsanweisungen für die Zellen werden. So ergibt sich ein bestimmtes Methylierungsmuster, die DNA selbst und auch die Gene bleiben unverändert. „Da diese Prozesse, die mit darüber entscheiden, welche Gene in einer Zelle aktiv sind, der Macht des Erbguts eine zweite Instanz hinzufügen, spricht man von >Epigenetik< (epi = griech. für über) … Erfahrungen und Umwelteinflüsse schlagen sich an Zehntausenden Orten als chemische Markierungen in der DNA nieder. Biologen nennen die Epigenetik daher das Gedächtnis des Körpers.“ (C.Berndt, "Resilienz", Seite 145). Sie ist für mich das Modernste und Spannendste, was die Forschung seit gut 20 Jahren zu bieten hat.
Und verständlicherweise sind eineiige Zwillinge begehrte „Forschungsobjekte“. Ins Leben gestartet mit identischer Erbmasse, entwickeln sich nachweislich unterschiedliche epigenetische Muster über die Jahrzehnte. Die Muster sind umso unterschiedlicher, je individueller sich die Zwillinge in ihren Lebenswelten entwickeln. Epigenetische Mechanismen wirken kurzzeitig wie auch lebenslang. Wie lange Muster erhalten bleiben bzw. wie schnell sie wieder abgebaut werden, ist eine zentrale Frage in der neueren Trauma-Forschung.
Veränderung funktioniert über Training
Tja, was fängt man nun mit all den Forschungsergebnissen an? Einerseits beängstigend, wenn man weiß, dass jegliches schädliches Verhalten, z. B. Rauchen, ungesunde Ernährung u. a. das Erbgut ungut beeinflussen kann. Und dass wir die Folgen womöglich sogar an unsere Kinder weitergeben. Dazu ist noch viel zu klären in der Wissenschaft, und das Thema ist es sicher wert, dass sich jeder von uns vor diesem Hintergrund sein Verhalten mal kritisch unter die Lupe nimmt.
Das grundsätzlich Gute an der Sache aber ist: Wir können unsere Prägungen beeinflussen bzw. sogar ganz loswerden. Die aufgebauten epigenetischen Muster sind veränderbar! Die Macht der Erbanlagen ist deutlich geringer als früher angenommen. Die Neurowissenschaftlern Elisabeth Binder sagt dazu: „Womöglich profitieren die Menschen, die besonders leicht mit epigenetischen Veränderungen auf die Umwelt reagieren, auch von positiven Umwelteinflüssen besonders stark.“ (In C. Berndt: „Resilienz“, 2014, S. 155) Gemeint sind damit u. a. alle Arten von Trainings, egal ob im Sport oder in der Stressreduktion – und natürlich auch in unserem Resilienz-Training!
So weit erst mal dazu das Wesentliche dazu für dich in unserem Blog. Vielen Dank für dein Interesse und deine Aufmerksamkeit! Im Anschluss findest du noch vier Buchtipps zum Weiterlesen.
Nimm gern auch Kontakt mit uns auf, wenn du Fragen hast. Wir antworten dir gern.
Bis bald, euer Thomas
Buchtipps zur Recherche:
Peter Spork: Der zweite Code
EPIGENETIK oder Wie wir unser Erbgut steuern können, Rowohlt, 2010
Terrie E. Moffitt, Avshalom Caspi, Richie Poulton: Ein besseres Leben dank früher Selbstbeherrschung. In: Spektrum der Wissenschaft. 12-2014, S. 40–47, spektrum.de
Christina Berndt: Resilienz – Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft, dtv, 2014
Martin Seligman: Wie wir aufblühen: Die fünf Säulen des persönlichen Wohlbefindens, Goldmann, 2015
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