029 Perfektionismus
Alles perfekt! – aber auch alles gut?
When too perfect, lieber Gott böse. Das steht auf einem Schild im Büro meines Kollegen. Erfinder des Textes, der uns daran erinnern soll, dass Perfektion nicht das Maß aller Dinge ist, war der 2006 gestorbene koreanische Künstler Nam June Paik.
Für Perfektionisten ist Perfektion aber das Maß aller Dinge, was es für sie und ihr Umfeld oft nicht gerade leicht macht. Denn übergroßer Perfektionismus kann definitiv zu Burn-out oder einer Depression führen und nervt oft diejenigen, die ihn bei Kolleg:innen, Freund:innen oder Verwandten erleben. „Der (oder die) kann einfach nicht mal Fünfe gerade sein lassen“, heißt es dann. Kennst du so eine/n Perfektionisten/in? Was zeichnet ihn/sie aus? Was ist gut, was ist schlecht? Jede Sache hat bekanntlich zwei Seiten.
Die gute Seite: Die Absicht, etwas besonders gut zu machen, ist ein positiver Antrieb, der uns in der Menschheitsgeschichte den Fortschritt gebracht hat, und ist in der Forschung und beispielsweise auch im Sport nicht wegzudenken. Das Problem ist also nicht Perfektionismus an sich, sondern die Ausprägung.
Problematisch ist die Angst vor dem Scheitern
Psychologie-Professorin Christine Altstötter-Gleich („Perfektionismus – Mit hohen Ansprüchen selbstbestimmt leben“, Balance Ratgeber) beschreibt es so: „Das Streben danach, die Dinge besonders gut zu machen, … ist per se nichts Schlechtes. … Es ist ein zutiefst wichtiger Persönlichkeitszug, dass man erkennt, dass etwas nicht ganz in Ordnung ist, und … man danach strebt, es besser zu machen. … Das Problem beim Perfektionismus ist viel mehr, wie man damit umgeht, wenn etwas nicht klappt.“
Die problematische Seite: Perfektionisten, und damit meine ich Männer wie Frauen, haben Schwierigkeiten, Fehler zu akzeptieren. Sie setzen für sich (und oft auch für andere gleich mit) hohe Standards, hohe Ziele. Sie haben hohe Ansprüche an sich selbst und befinden sich fast ständig im Optimierungsmodus. Das liest sich schon beim Schreiben so, als würde es Stress verursachen und das tut es auch. Denn Versagen oder Scheitern macht Perfektionisten Angst. Ihre Reputation wäre bedroht, denn ihr Selbstwertgefühl speist sich aus Leistung. Das kann im Verhalten Übererfüllung der Aufgaben bedeuten oder auch ständiges Aufschieben. Wenn das so alles zutrifft, dann droht Gefahr durch Erschöpfung bis hin zu Depressionen. Die Wissenschaft nennt das einen dysfunktionalen Perfektionismus, also einen nicht angemessenen, krankhaften Perfektionismus.
Diese Form des Perfektionismus ist also keine Stärke, eher eine Schwäche. So ein dysfunktionaler Perfektionismus tritt aber nicht nur im Zusammenhang mit zu leistender Arbeit auf, auch emotionaler Perfektionismus ist verbreitet. Ermahnst du dich selbst, wenn du eine Sache oder Situation falsch eingeschätzt hast („Das hätte ich wissen/spüren müssen!“) oder bist du gar ärgerlich, wenn du mal traurig bist? Erwartest du, dass du stets mit deiner eigenen Leistung und Einschätzung vollkommen zufrieden bist? Dann ist die Stressfalle ausgelegt!
Ihm steht der funktionale Perfektionismus entgegen, den man am besten mit Gewissenhaftigkeit, Pflichtbewusstsein und Verlässlichkeit übersetzt, um ihm den schlechten Ruf zu nehmen. Denn Perfektionismus meint im Grunde immer ein Übermaß von allem.
Wir können uns also in dieser Hinsicht immer die Frage stellen: Bin ich engagiert oder opfere ich mich auf? Verfolge ich realistische Ziele oder überfordere ich mich? Um der Überforderung zu entgehen, hilft es, sich und anderen zuzugestehen, dass Fehler erlaubt sind. Und manchmal gibt es schlechte Tage und Dinge gehen einfach auch mal schief.
Überprüfe doch einmal deine Erwartungen – an Situationen, Beziehungen, an dich selbst und schau, welche Macht du diesen Erwartungen und den Ansprüchen von anderen an dich gibst. Gelingt es uns nicht, bei uns zu bleiben, besteht die Gefahr, dass wir überfordert den Bezug zu uns verlieren und orientierungslos werden - und erreichen so nur das Gegenteil von Gelassenheit. Das Leben wird leichter, wenn wir nicht erwarten, dass es leicht sein muss!
"Ich kann nicht jeden Ball halten"
Sportpsychologen kennen das. Sie betreuen Top-Sportler:innen, die auch damit umgehen müssen, nicht immer gewinnen zu können und auch oft Schwierigkeiten damit haben, ihren Hochleistungslevel zu halten und dann die Zügel zu straff halten, um diesem Ziel zu folgen. Meist ist ihr ganzes Leben darauf abgestellt. Einer, der zuletzt offen darüber gesprochen hat, wie Perfektionismus negative Folgen haben kann, ist Handball-Nationalspieler Andreas Wolff, bekannt für unbändigen Einsatz und seinen großen Ehrgeiz. Der Torwart sagte in der FAZ: „Ich habe eine schwierige Zeit hinter mir, 2021 mit zwei Corona-Erkrankungen, danach einem Leistungsloch. Ich habe mit Sportpsychologen gesprochen, Trainern, Mitspielern und für mich herausgefunden, dass Ehrgeiz nicht mein einziges Leitmotiv sein kann. Spaß gehört beim Sport dazu, und das ist untergegangen die letzten Jahre. Ich hatte große Probleme, mit negativen Erlebnissen umzugehen. Das hat viel Kraft gekostet. Ich habe jetzt verstanden, dass ich nicht von mir erwarten kann, jeden Ball zu halten.“
Regeneration ist sooo wichtig
Wie sieht es bei dir aus, hast du einen oder mehrere Bereiche, in denen du perfektionistisch bist? Wie sieht es mit der Balance aus Anspannung und Entspannung aus? Kannst du abschalten? Kannst du gut schlafen?
Warum ich das frage: Entspannung und Regeneration sind wesentliche Faktoren für das Erbringen guter Leistungen. Früher hatte man geglaubt, Training, Training, Training sei die einzige Devise. Heute weiß man, dass die Regeneration eine ebenso große Rolle spielt. Sie sorgt im besten Fall auch für eine emotionale Balance, die einer Überforderung entgegenwirkt und die Leistungsmotivation erhält. Entspannung bedeutet, frei zu sein von Ansprüchen, vom Zwang zu leisten. Sie hat einzig zum Ziel, der Selbstfürsorge zu dienen und damit der Gesunderhaltung von Körper, Geist und Seele. Für die Regeneration brauchen wir also einen leistungsfreien Raum. Welchen Raum zur Entspannung findest du für dich?
Im Austausch mit Freunden lässt es sich wunderbar entspannen und beim Erzählen stellt man fest, dass jeder mit „Fehlern“ und auch Misserfolg umgehen muss.
Was sagst du dann zu deinem Freund oder deiner Freundin?
Gegen negative Gefühle und Gedanken helfen Glücksmomente im Alltag, die du dir nicht entgehen lassen solltest, Perfektionist hin oder her: Schöne Momente in der Natur, die Lieblingsmusik auflegen oder einfach mal die Augen schließen und sich einen der schönsten Momente im Leben wieder aus der Erinnerungskiste herausholen. Stress lass nach!
Wir helfen dir aus der Perfektionsfalle
In einem unserer nächsten Blog-Beiträge stellen wir dir das Pareto-Prinzip vor. Es wird auch als 80-zu-20 Regel bezeichnet, denn es verdeutlicht sehr plakativ, dass wir nicht immer 100 Prozent in jeder Aufgabe erreichen müssen. Fühlst du dich angesprochen? Dann bleib‘ dran!
Euer Thomas
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